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So denken und fühlen Mütter

Gedanken zum Thema „Muttersein“ von Psychologin Inga Erchova, Autorin des Buches „Jede Mutter kann glücklich sein“.

Bevor ich Mutter geworden bin, habe ich in der bunten Welt der Werbung gearbeitet. Ich schmückte mich wie mit Federn mit namhaften Agenturnahmen und Welt berühmten Marken, für die ich schon mal Werbung gemacht habe. Mein Lebenslauf war eine reine Anhäufung der Trophäen. Ich bin gejettet zwischen europäischen Metropolen und fühlte mich kosmopolitisch, kreativ, bereist, erfolgreich und glaubte, im Leben gibt es nicht viel mehr zu wünschen und zu erreichen. Mein Leben war ein piece of cake. Es fehlte vielleicht ein kleines Sahnehäubchen auf dem Kuchen – ein kleines süßes Kind, das eines Tages genauso erfolgreich werden sollte wie ich. Auch diesen Wunsch konnte ich in die Wege leiten, dann die Schwangerschaft, die Geburt und das lang ersehnte Kind im Arm.

Die Geburt hat mich in eine Welt katapultiert, deren Existenz ich nicht einmal geahnt hatte. Sie war der alten diametral entgegengesetzt– dunkel, unglamourös und nach innen gekehrt. Sie war betörend und abschreckend zu gleich. Ich bin abgetaucht, Geräusche verstummten, die Farben verblassten und die Stimmen hörten sich an wie unter Wasser. Als hätte sich der Boden unter meinen Füßen aufgetan und eine ungeahnt größere Welt zeigte sich. Ich schaute ins bodenlose. Die Gesetze der alten Welt schienen hier nicht zu gelten. Das alte Leben zog lautlos an mir vorbei und ich stand außen vor. Es fühlte sich an wie Berührung mit der anderen Seite, die bisher im dunklen war – mit dem Jenseits. Die Zeit blieb stehen, Gefühle überschlugen sich und alles floss: die Milch, der Wochenfluss, der Rotz und die Tränen, viele Tränen ohne einen ersichtlichen Grund. Ich weinte einen Fluss voll, wie Alice in Wunderland, die in ihren eigenen Tränen beinahe ertrank.

Neue Art zu fühlen

Der Kontrast zum früher konnte nicht größer gewesen sein. Die neue Art zu fühlen war unbekannt, dabei fühlte sie sich erstaunlich real an. Ich spürte in ihr etwas wahres, ehrliches und nicht vorgetäuschtes. Zum Glück hat mich die neue Welt nicht abgeschreckt, sie lockte und betörte, wenn auch beängstigte. Ich fühlte in mich hinein und realisierte etwas Wichtiges: Die Trauer und der Schmerz waren nicht vom Kind erzeugt. Nein. Mütter, die ihr altes Leben vermissten und dem Kind dafür die Schuld geben, haben unrecht. Es waren meine eigenen alten Gefühle, die durch das Kind nur wach gerüttelt, wiederbelebt, sichtbar und spürbar gemacht worden sind. Sie waren schon immer da gewesen, übertüncht mit falschen Ambitionen und zutapeziert mit der schicken Designertapete der Werbung. Die Geburt und der neue Lebensabschnitt waren eine Einladung dahin zu schauen, wo es weht tat, wo es schon immer weh getan hat, nur nie von mir wahrgenommen wurde. Als ich dann zu mir hinschaute, zum kleinen Mädchen, das ich einmal gewesen war, konnte ich nicht anders als zu weinen und zu lieben, zu lieben und zu weinen. Ich hielt meine entblößte Seele im Arm – mein neugeborenes Kind.

Es geht vielen Müttern so wie mir, sie erleben den Übergang zum Muttersein als Schock, sie glauben fest, verrückt geworden zu sein. Keiner hat sie vorgewarnt und auf die neuen Gefühle vorbereitet. Irgendwie hat es sich bisher nicht herumgesprochen, dass die subtile Welt der Gefühle den Weg ins Muttersein ebnet. Dabei ist das Mutterwerden nichts anderes als das – die unausweichliche Begegnung mit eigener Gefühlswelt, mit eigener Vergangenheit und Erfahrungen aus früher Kindheit, so wie sie wirklich waren. Die Geburt öffnet unsere Seele und offenbart ihre verborgenen und dunklen Ecken.

Seit dem hat sich irgendwas tief in mir verändert, ein Schalter umgelegt und ich konnte nicht in mein altes Leben zurückkehren. Ich konnte nicht so weiterleben wie bisher, als wäre nichts Besonderes passiert, ich war nicht mehr die alte. Mein altes Leben entpuppte sich plötzlich als oberflächlich und naiv. Ich jagte falschen Dingen hinterher. Es war kein Weg mehr zurück. Ich konnte mir nicht länger vorstellen, in meinen alten Job zurück zu kehren und die nächste Werbekampagne mit der Ernsthaftigkeit zu diskutieren, als wäre sie das Wichtigste auf der Welt.

Das Meer der unbekannten Gefühle

Das Erlebte war für mich so überwältigend und die Einsicht so wichtig, dass ich sie nicht nur für mich behalten konnte und tatenlos zusehen, wie andere Mütter leiden und ihre Kinder mit ihnen. Ich beschloss, mich beruflich neu zu orientieren. Zum Glück schenkte mir mein Hintergrund mit Psychologiestudium das nötige Handwerk und eine gute Startplattform für beruflichen Neuanfang. Von nun an widmete ich mich psychotherapeutisch jungen Müttern und half ihnen im Meer der unbekannten Gefühle zu navigieren. Ich zeige Frauen, wie sie die emotionale Welt nutzen können als Schatzkammer für die Selbsterkenntnis, persönliches Wachstum und die Quelle der Liebe. Es ist eine Arbeit ohne Designerklamotten, dafür mit mehr Sinnhaftigkeit. Ich habe seitdem mit vielen Frauen gesprochen, von Gesicht zu Gesicht, am Telefon oder über Skype, dank Internet aus entferntesten Ecken der Welt. Und egal, wo sie sich befinden, uns alle bewegt das gleiche: Warum fühle ich als Mutter das, was ich fühle? Wie komme ich mit mir ins Reine? Wie kann ich mehr Mutterglück empfinden und meine Kinder vom Herzen lieben?

Nach zehn Jahren ist das Buch „Jede Mutter kann glücklich sein“ entstanden, mit Beobachtungen, Erkenntnissen, Fallbeispielen und Einlagen zur Selbstreflektion. Es ist eine Einladung für jede Mutter, ihre Innenwelt zu erkunden mit all ihren schönen und schmerzhaften Momenten, damit sie ihre eigene Geburt als Mutter vollziehen kann. Das Buch richtet den Blick der Leserinnen nach innen hin zu der verborgenen und ganz persönlichen Wahrheit jeder Frau, die Mutter geworden ist. In meinem Buch zeige ich den Weg, mit dunklen Gefühlen umzugehen, daraus zu lernen, die alten Wunden zu heilen und so mehr Glück als Mama zu empfinden. Wir glauben, die Welt da draußen wie wir sie kennen – konkret und rational, in der man Dinge erreicht und Anerkennung erntet – ist die einzige, die Existenzberechtigung besitzt und in der man sich Geltung verschaffen kann. Nein, es ist nicht so, es gibt sie auch, die andere Welt – subtil und irrational, in der man nicht aktiv sein muss, sondern nur fühlen kann, das ist schon ein Abenteuer genug. Willkommen zuhause, liebe Mamis! Ja, ein Universum der Gefühle und der weiblichen Energie ist unser zuhause, das wir vor langer Zeit verlassen und vergessen haben. Die Selbstverwirklichung findet nicht unbedingt da draußen statt. Mutter zu werden hilft uns innerlich zu verwirklichen, denn nichts ist so wahr und so schonungslos ehrlich wie die Gefühle einer Mutter.

Buchtipp: 
Jede Mutter kann glücklich sein, Integral Verlag, 383 Seiten, 20,60 Euro



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