Drucken
shutterstock429700846

Hörst Du mich, mein kleiner Schatz?

Wer sehen will, braucht Licht, wer hören will, braucht Geräusche. Ganz gleich, ob die zarte Stimme der Mutter oder die schrille Sirene des vorbeirasenden Feuerwehrautos – alle Stimmen, Töne und Klänge aus seiner Umgebung tragen zur gesunden Hörentwicklung eines Babys bei. Gutes Hören indes ist eine unentbehrliche Voraussetzung für die Entwicklung des Sprechens. In den letzten Jahren haben sich die Chancen erfreulich verbessert, Hörstörungen bei Babys frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme. 
 
Unter 1000 Neugeborenen gibt es ein bis zwei Babys, bei denen eine behandlungsbedürftige, beidseitige Hörstörung besteht. Werden gering gradige und einseitige Hörstörungen mit einbezogen, liegt das Risiko mit etwa 2,7 pro 1000 Neugeborenen deutlich höher. 

Wer nicht hören kann, lernt auch nicht sprechen
Schon in den ersten Lebensmonaten muss das Gehirn durch Geräusche stimuliert werden, um die Hörbahnen reifen zu lassen – eine unentbehrliche Voraussetzung auch für die Entwicklung des Sprechens. Wenn Kinder nicht richtig hören können, lernen sie auch nicht richtig sprechen. Erhält das Gehör wegen eines angeborenen oder durch Krankheit entstandenen Hörfehlers keine Anregung in den ersten Lebensmonaten, fehlt ihm die Erfahrung, mit Geräuschen richtig umzugehen. Je länger die Störung unentdeckt bleibt, umso schwieriger wird es für das Kind, den Rückstand in der Sprachentwicklung aufzuholen. Die schwerwiegenden Folgen für das Sprachverständnis sind dann nur noch teilweise gut zu machen und bleiben ein Leben lang bestehen.
 
Seit dem 1. Januar 2009 haben alle gesetzlich versicherte Neugeborene in Deutschland einen Anspruch auf eine Früherkennungsuntersuchung auf Hörstörungen. Das Neugeborenen-Hörscreening soll dazu beitragen, die Folgebehinderungen einer kindlichen Hörstörung möglichst gering zu halten.

Bei diesem Hörscreening wird direkt in der Geburtsklinik, beim Kinder- und Jugendarzt oder bei einem HNO-Arzt eine Schallmessung im Gehörgang durchgeführt. Bei Geburten außerhalb eines Krankenhauses wird die Messung von der Hebamme oder dem Arzt veranlasst, die oder der die Geburt geleitet hat. Die Untersuchung ist für das Kind völlig schmerzfrei. Sie kann sogar erfolgen, während das Kind schläft.

Seit seiner Einführung hat sich das bundesweite Neugeborenen-Screening als eine überaus sinnvolle und auch erfolgreiche Maßnahme erwiesen, berichtet die Stiftung Kindergesundheit: Die daran beteiligten Ärzte erkennen Hörstörungen bei Kindern heute deutlich früher als vorher und so kann auch eine Behandlung rechtzeitiger eingeleitet werden.

Geprüft wird das Echo aus dem Ohr
Vor 2009 wurden Hörstörungen bei Kindern im Mittel erst bei einem Alter von über zwei Jahren erkannt. Bereits drei Jahre nach Einführung der präventiven Maßnahme sank der Zeitpunkt der Diagnosestellung im Mittel auf 6,4 Monate. Bei rund 40 Prozent der schwerhörigen Babys wurde im Jahre 2012 die Diagnose, wie in den Richtlinien vorgesehen, innerhalb der ersten drei Monate gestellt und bei jeden zweiten Kind (54,2 Prozent) konnte innerhalb der ersten sechs Monate mit der Behandlung begonnen werden.

Bei der Hörprüfung aller Babys kommen vor allem folgende zwei Untersuchungsmethoden zum Einsatz:

o Otoakustische Emissionen sind Schallwellen, die auf einen akustischen Reiz von außen im Innenohr gebildet werden. Ihre Messung funktioniert nach dem Prinzip eines Echos: Es wird eine kleine Sonde in den äußeren Gehörgang eingeführt, die wiederholt einen leisen Klickton abgibt. Die Schallwellen dieser Töne setzen sich ins Innenohr fort, bis zur Hörschnecke mit ihren feinen Haarzellen. Normalerweise antworten diese Zellen mit Schwingungen, deren Schallwellen vom Innenohr wieder zurück ins äußere Ohr übertragen werden. Dort misst ein an der Sonde befestigtes winziges Mikrofon, wie stark diese Schallwellen sind. Bleibt das Signal aus oder ist es sehr schwach, kann das auch auf eine Störung des Gehörs hinweisen.

o Eine weitere Möglichkeit bietet die so genannte Hirnstammaudiometrie. Das ist eine spezielle Elektroenzephalographie (EEG), ein Verfahren, das die elektrischen Aktivitäten des Gehirns misst. Von der Messung werden am Scheitel und hinter den Ohren des Kindes zunächst kleine Plättchen (Elektroden) auf die Haut geklebt. Es bekommt dann eine Art Kopfhörer aufgesetzt, über den Klickgeräusche zum Innenohr gesendet werden. Über die Elektroden wird geprüft, ob die Schallwellen als elektrische Impulse aus dem Innenohr im Gehirn ankommen. Eine gestörte Übertragung des Signals weist auf ein eingeschränktes Hörvermögen hin. 

Die Teilnahme am Neugeborenen-Hörscreening ist freiwillig. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen.

Impfungen beugen auch Schwerhörigkeit vor
Ein unauffälliger Befund bei der Neugeborenen-Hörscreening ist aber noch keine Garantie für ein intaktes Gehör, betont die Stiftung Kindergesundheit. Das Kind kann auch später noch eine Hörstörung entwickeln. Eltern sollten deshalb wachsam bleiben, vor allem, wenn bei ihrem Kind ein erhöhtes Risiko für eine Hörstörung vorliegt. Das ist zum Beispiel bei Frühgeborenen der Fall und auch dann, wenn bei den Eltern oder nahen Verwandten eine Schwerhörigkeit vorliegt, die seit der Kindheit besteht und nicht die Folge von Mittelohrentzündungen ist. Eine Reihe von Medikamenten kann ebenfalls das Gehör schädigen, zum Beispiel einige Antibiotika und Krebsmedikamente. Als „ototoxisch“ gelten auch Blei, Tabakrauch und Lärm.

Auch ansteckende Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln können das Hörvermögen vorübergehend oder nachhaltig beeinträchtigen. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, die Kinder gegen diese Krankheiten impfen zu lassen, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit mit großem Nachdruck.

Häusliche Prüfung nicht zuverlässig genug
Ob beim Gehör ihres Babys alles in Ordnung ist, können Eltern auch selbst prüfen, allerdings bei weitem nicht so sicher wie bei einer ärztlichen Untersuchung. Wichtig sind dabei auch besondere Vorsichtsmaßnahmen: Die Test-Geräusche dürfen nicht mit Berührungen und Erschütterungen des Kindes verbunden sein. Gerade hörgestörte Kinder versuchen oft, ihr Manko schon frühzeitig durch die Steigerung ihrer Seh-Aufmerksamkeit auszugleichen.

Beim häuslichen Hörtest sollten deshalb Eltern darauf achten, dass ihr Kind nicht zufällig durch einen Schatten an der Wand aufmerksam wird. Sie dürfen sich beim Testen auch nicht am Bettchen aufstützen oder die Unterlage während des Tests anstoßen. Beim Blasen mit einer Flöte oder Pfeife könnte das Kind sogar auf den Luftzug reagieren und so eine Hörreaktion vortäuschen. Das gilt auch fürs Händeklatschen. Prüft man das Gehör mit Flüstern, darf das Kind die Mundbewegungen nicht sehen, denn auch schwerhörige Kinder reagieren darauf mit scheinbarem Horchen. 

In den ersten Lebenswochen können Eltern die Hörfähigkeit ihres Kindes auch dann testen, wenn es schläft. Dafür ist die Zeit des oberflächlichen Schlafes am besten geeignet. Man erkennt ihn daran, dass das Baby bei einer Berührung der Augenbrauen und Lider oder beim leichten Blasen ins Gesicht kurz aufwacht. Es schläft dann meist rasch wieder ein und man kann dann die Reaktionen auf Geräusche gut testen. 

Quitschtier, Knackfrosch, Seidenpapier
In den ersten Wochen prüft man das Gehör am besten mit lauten Tönen, zum Beispiel mit einem Quietschtier oder einem Knackfrosch. Ein Kind mit gesunden Ohren reagiert auf solche Geräusche in seiner Nähe mit einer Veränderung des Verhaltens. Es wechselt die Atmung, holt tief Luft oder hält einen Augenblick inne. Vielleicht öffnet es auch langsam die Augen, wacht kurz auf oder zeigt eine Schreckreaktion.

Später, zwischen dem dritten und dem sechsten Monat sollten Gehör und Gehirn soweit gereift sein, dass auch leise Töne – in der Lautstärke der ruhigen Umgangssprache oder das Knisterns von Seidenpapier – eine Reaktion hervorrufen: Das Kind lauscht, dreht den Kopf in Richtung der Klänge und sucht mit den Augen nach der Quelle des Geräusches. 

Wichtige  Hinweise liefert auch die Entwicklung des Lallens: Hörgestörte Babys fangen in der Zeit zwischen sechster Woche und sechstem Monat zwar normal an zu Lallen, danach jedoch, wenn das Lallen bei den gesunden Kindern ins Brabbeln übergeht, verschwindet es bei den hörgestörten Kindern allmählich – sie verstummen.

Sollten Eltern den Verdacht haben, dass ihr Kind nicht richtig hört oder dass sich seine Sprache nicht altersgemäß entwickelt, sollten sie darüber mit ihrem Kinder- und Jugendarzt sprechen und um eine gründliche Untersuchung bitten, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Die Spezialisten für das kindliche Gehör sind Fachärzte auf dem Gebiet der Phoniatrie und Pädaudiologie.

Wird eine Hörstörung bekannt, sollte sie so früh wie möglich behandelt werden. Auch schwerhörige Kinder können heute hören und sprechen lernen, wenn sie frühzeitig mit Hörgeräten versorgt werden. 

Kinderohren wachsen noch: Der Gehörgang ist so eng, dass die unauffälligen Im-Ohr-Geräte nicht in Frage kommen. Deshalb werden Kindern Hörsysteme verordnet, die hinter dem Ohr zu tragen sind. Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören neben den Hörgeräten eine logopädische Behandlung und gezielte Schulungen. In bestimmten Fällen wird auch eine elektronische Hörprothese (ein Cochlea-Implantat) durch eine kleine Operation eingesetzt. Alle dieser Behandlungen sind umso wirksamer, je früher sie erfolgen.

Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt deshalb allen jungen Eltern, sich mit der Teilnahme ihres Kindes am Hörscreening einschließlich der Datenübertragung einverstanden zu erklären. Werden Hörstörungen von Neugeborenen frühzeitig entdeckt, können sie heute in den meisten Fällen so wirksam behandelt werden, dass eine weitgehend normale Entwicklung des Kindes zu erwarten ist.

Foto: Shutterstock/Dreams Come True